Die alte Spitalapotheke ist ein

kulturhistorisches Juwel

Solothurner Spitalschwestern haben ein einmaliges Stück Medizingeschichte gerettet.

Die Solothurner Spitalapotheke im Alten Spital sieht aus, wie man sich Apotheken so vorstellt: unzählige Fläschchen, alphabetisch geordnet nach Ölen, Destillaten oder wässrigen Lösungen, Töpfe für Salben, Schubladen für Kräuter, dazu Mörser, Waagen, Löffelchen, Messerchen, ein zentraler Arbeitstisch. Genau so wurde die Spitalapotheke 1788 gebaut. Vor jener Zeit waren Spitäler Herberge, Gefängnis, Gassenküche, Krankenzimmer und vieles mehr. Doch die Apotheke entstand für eine neue Art Spital und war kein öffentlich zugänglicher Laden, sondern eine streng abgeschirmte Werkstätte zur Produktion von Medikamenten – eine eigentliche Pharmafabrik.

Der Maestro muss neu zeichnen

Im ausgehenden 18. Jahrhundert bauten Städte immer öfter Spitäler, die ausschliesslich der Pflege und Heilung von Kranken dienten. Integraler Bestandteil war eine Apotheke. Führend im Betrieb solcher Gesundheitszentren waren die Sœurs Grises, die grauen   Schwestern aus dem französischen Beaune, die Gesundheitssysteme im Franchising betrieben, ähnlich wie heute Fastfoodketten. Kunden waren moderne, wohlhabende Städte, die sich ein zeitgemässes Spital leisten wollten. Wer eines baute, konnte die Sœurs Grises einladen, und diese betrieben das Spital. In Pruntrut gab es bereits ein solches Ordensspital, und die dortigen Schwestern waren 1788 bereit, fünf Solothurnerinnen in ihrem Ordenauszubilden. Den Service gab’s allerdings nur für katholische Städte. Die Reformierten mussten selbst schauen – und hinkten den Katholiken beim Ausbau des Gesundheitswesens hinterher. Damit aber nicht genug. Dem aus Ascona stammenden Solothurner   Stadtbaumeister Paolo Antonio Pisoni gaben die Schwestern gleich den Tarif durch, wie denn ein modernes Spital auszusehen hatte. Die resolute Chefin von Pruntrut, Mutter Maria Ostertag, war mit dem Werk Pisonis nicht einverstanden. Sie wollte hohe Säle mit viel Luft für die Kranken und genau zwischen dem Männer- und dem Frauensaal grosszügige Toilettenanlagen. Gewisse Vorstellungen von Hygiene gab es schon damals. Auch die Apotheke gefiel ihr nicht. Pisoni hatte sie für die tägliche Arzneimittelproduktion viel zu klein und am falschen Ort geplant. Murrend musste der Maestro alle seine Pläne umzeichnen.

Frauenkarrieren im Spital

Der Schwesternorden war ein Kind seiner Zeit, wie Erich Weber, Konservator des Museums Blumenstein, des historischen Museums von Solothurn, erklärt. In der Zeit kurz vor der industriellen Revolution lebten die   Menschen in einer Null-Wachstum-Gesellschaft, in der gleichbleibende Ressourcen auf immer mehr Menschen   verteilt werden mussten. Überall wurde altes Baumaterial weiterverwendet. Wer heiraten wollte, musste nachweisen, dass er eine Familie unterhalten konnte. In einer solchen Gesellschaft gab es für viele junge Menschen keine Perspektive, schon gar nicht für junge Frauen aus ärmeren, kinderreichen Familien. Die Sœurs Grises boten Aussicht auf Sicherheit, berufliche Entfaltung, ja sogar auf eine unternehmerische Karriere mit dezidiertem gesellschaftlichem Einfluss, wie das Maria Ostertag schaffte, als sie Architekt Pisoni in die Parade fuhr. Bis vor wenigen Jahren spielten die   Schwestern im Solothurner Gesundheitswesen eine wichtige Rolle in Betrieb und Ausbildung. Die Apotheke als zentrales Element ihres Spitals wurde von Schreiner Xafer Kieffer 1789 fertiggestellt. Bemalt wurde sie von einem engen Freund  Pisonis,  dem Maler Felix Josef Wirz, welcher der Apotheke ihre eigene Corporate Identity gab: auf jeder Schublade, jedem Topf und jeder Flasche.

Die Apotheke wird eisern geschützt

Dass die Apotheke in ihrer einmaligen Vollständigkeit erhalten geblieben ist, verdanken die Solothurner ihren Spitalschwestern. Als die Apotheke 1930 ins neue Spital umzog und die alten Flaschen in Xafer Kieffers Möbeln durch damals moderne, ebenfalls sehr schöne Art-déco-Flaschen ersetzt wurden, lagerten sie das nicht mehr gebrauchte Inventar sorgfältig ein. Immer wieder mussten sie die Apotheke gegen die Begehrlichkeiten   abtretender Chefärzte verteidigen, die sich zur Pensionierung ein Andenken wünschten. Schliesslich schenkten sie ihren Schatz der Stadt Solothurn unter der Bedingung, dass er integral erhalten bleibe und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Das ist er nun. Passanten können die Apotheke von aussen durch die im Winter beleuchteten Fenster sehen und von innen wie ein Diorama durch die gläserne Tür, immer wenn die Rezeption des «Hotels an der Aare» besetzt ist. In ihrer ganzen Schönheit erlebbar ist sie auf Führungen, mit all ihren Behältern, Schubladen, Werkzeugen und dem Arbeitstisch. Dort klemmen noch immer die typischen Rezeptzettel, nach denen die Schwestern für jeden einzelnen Patienten die passende Arznei herstellten. Heute heisst das personalisierte Medizin und ist der neuste Trend in der Pharmaindustrie.

Ein unerforschter Schatz

Die Apotheke hat noch viel zu erzählen. «Die Dokumente, die wir von den Schwestern erhalten haben, sind noch immer völlig unerforscht», sagt Erich Weber. Die Spital- und Apothekenakten im Staatsarchiv sind einer der   ganz wenigen Datenbestände, wo man genau weiss, welcher Patient und welche Patientin welche Medizin erhalten hat, wer sie verschrieben hat, wer die Medizin hergestellt hat und ob sie geholfen hat. Das ist ziemlich einzigartig in Europa – und nur dank den Solothurner Spitalschwestern erhalten geblieben.



Text: Andreas Schwander
Fotos: Martin Jeker, studiojeker