Das strahlharte Business
Stahl aus Gerlafingen ist umweltfreundlich, weil er aus elektrisch geschmolzenem Schrott besteht. Im Markt hat er es aber schwer. Nach einem bewegten 2024 ist man Für dieses Jahr wieder zuversichtlicher.
Ausgabe 1/2025
Kaum ein Unternehmen in der Region Solothurn prägte die öffentliche Debatte in den letzten Monaten so stark wie Stahl Gerlafingen. Hier werden auf einer Gesamtfläche von 515000 Quadratmetern von 540 Mitarbeitenden jedes Jahr 700 000 Tonnen Stahl gefertigt. Damit ist der Industriebetrieb weiterhin einer der grössten Arbeitgeber in der Region. Doch die aktuelle Wirtschaftslage setzt dem Unternehmen arg zu.
Weniger Export, weniger Bautätigkeit
Die Schwierigkeiten begannen 2023. Die EU hatte als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine und die steigenden Energiepreise den Import von billigem Stahl subventioniert. Für die Schweiz wirkte sich das negativ aus. «Wir konnten vier Quartale in Folge nicht mehr exportieren», zeigt Patrick Puddu, Finanzchef von Stahl Gerlafingen, die Konsequenzen auf. Das Exportproblem wurde zwar in der Zwischenzeit leicht entschärft. Doch zum einen habe es Schweizer Stahl in der EU weiterhin schwer, andererseits zieht man den damaligen Umsatzrückstand weiter hinter sich her. Die weltweit stockende Konjunktur und damit fehlende Bauvorhaben kommen hinzu. Und dann sind da gestiegene Energiekosten, ebenfalls durch den Krieg bedingt. Für ein Industrieunternehmen wie Stahl Gerlafingen besonders schwerwiegend: Hier werden rund 360 GWh Strom fürs Schmelzen des Schrotts sowie 325 GWh Gas pro Jahr im Walzwerk verbraucht, das den Stahl in die gewünschte Form bringt.
«Viele sehen uns als Energiefresser», weiss Patrick Puddu denn auch aus Gesprächen. Wenn er aber aufzeige, was Stahl Gerlafingen alles unternehme und leiste –, «dass wir beispielsweise der grösste Recyclingbetrieb der ganzen Schweiz sind» – ändere sich die Sicht. Als 2006 die italienische Beltrame-Gruppe Stahl Gerlafingen übernahm, wurde das Werk auf nachhaltige Stahlherstellung umgerüstet. 50 Prozent des angelieferten Stahls werden per Bahn transportiert. 2023 wurde im Walzwerk ein neuer Ofen in Betrieb genommen, der 20 Prozent weniger Gas verbraucht, und Ende letzten Jahres wurde eine neue Photovoltaikanlage mit fast drei Megawatt Leistung in Betrieb genommen, die eine erste mit über zwei Megawatt Leistung ergänzt. Und, wichtigster Faktor: Im Stahlwerk Gerlafingen wird «alter» Stahl wiederverwertet. les Alles in allem «kommen wir so auf einen gegenüber der herkömmlichen Stahlherstellung ums Fünffache tieferen CO2-Abdruck», erzählt der Finanzchef. Gegenüber vergleichbaren Herstellern verursacht man in Gerlafingen so rund 200 Kilogramm CO2 weniger pro Tonne Stahl: «Wir haben den europaweit tiefsten CO2-Fussabdruck.»
Stahl Gerlafingen schmilzt in elektrischen Lichtbogenöfen einheimischen Stahlschrott. Der Betrieb ist deshalb wichtig fürs Recycling und für die Kreislaufwirtschaft innerhalb der Schweiz, mit kurzen Transportwegen und ökologischem Energieeinsatz.
Die Stahlbranche hat hauchdünne Margen und hohe Energiekosten. Finanzchef Patrick Puddu hat deshalb viele interne Baustellen, obwohl Bauarbeiter auf jeder zweiten Schweizer Baustelle mit Gerlafinger Bewehrungsstahl betonieren.
Schmerzhafter Abbau
Mit dem Umbau waren auch einschneidende Massnahmen verbunden, um die finanzielle Stabilität des Werks zu gewährleisten: Man gab die Profilstahlherstellung auf und fokussiert sich seither auf Bewehrungsstahl, der für den Bau mit Beton verwendet wird. In der Folge mussten 68 Kündigungen ausgesprochen werden. Im Herbst drohte ein weiterer Abbau von 120 Stellen. Auf den konnte verzichtet werden, als die Politik sich einbrachte. In National- und Ständerat sowie im Solothurner Kantonsrat forderten Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Parteien Unterstützung für die Schweizer Stahl- und Aluminiumindustrie. So soll sie von der Netzabgabe entlastet werden. Nebst Gerlafingen betrifft dies auch das Stahlwerk von Swiss Steel in Emmenbrücke, das mit ähnlichen Problemen kämpft, sowie zwei Aluwerke im Wallis. Das nötige Gesetz ist seit dem 1. Januar in Kraft. Eine andere Frage ist, ob die ressourcenschonende Stahlherstellung der Schweiz etwas wert ist: Derzeit ist eine Anpassung der Beschaffungsrichtlinien für bundesnahe Betriebe und Bundesämter in Arbeit, die neben dem Preis auch die Nachhaltigkeit berücksichtigen sollen.
Jedes zweite Bauwerk Letztlich gehe es politisch um die Frage, ob die Schweiz eine eigene Stahlindustrie behalten soll, bringt Puddu die Haltung auf einen Punkt. Andere Länder haben diesen Entscheid längst gefällt. Dann, so zeigen aktuelle Zahlen seines Businessmodells, stünde Stahl Gerlafingen auf solidem Fundament. Die Bedeutung ist unbestritten. «Jedes zweite Bauwerk in der Schweiz wird mit unserem Stahl gebaut», weiss Patrick Puddu.
Text: Fabian Gressly
Fotos: Michel Lüthu, Bilderwerft.ch