«Technische Facts passen oft nicht ins Wunschkonzert»

Nach 20 Jahren als Direktor geht Felix Strässle per Ende Mai 2021 in Pension. Unter seiner Führung entwickelte sich die Regio Energie Solothurn zu einer marktorientierten Energiedienstleisterin. Die aktuellen energiepolitischen Diskussionen betrachtet er mit kritischem Blick.

Am 1. April 2001 haben Sie die Stelle als Direktor der Regio Energie Solothurn angetreten. Können Sie sich an Ihren ersten Arbeitstag erinnern?

Das ist lange her, aber ich mag mich gut erinnern, dass mich alle Mitarbeiter mit «Herr Direktor» angesprochen haben. Das kam mir als damals 45-jähriger Jüngling krass vor und es offenbarte eine Kluft. Es dauerte ein paar Wochen bis ich meinen Mitarbeitenden klarmachen konnte, dass sie den «Direktor» in der Anrede weglassen sollen.

Was für ein Unternehmen haben Sie in Solothurn angetroffen?

Mein Vorgänger hat mir ein gesundes Unternehmen übergeben; das Fach-Knowhow war gut vorhanden, die Abläufe funktionierten, die Handlungsfähigkeit war geschaffen, und die finanzielle Basis der Städtischen Werke Solothurn war gesund. Es war offenbar, dass Veränderungen anstehen und dass mit der Liberalisierung die Kunden eine zentrale Rolle spielen werden.

Sie sagen, dass die Liberalisierung, d.h. die Strommarktöffnung anstand. War das Thema
präsent?

Ich spürte ein grosses Unbehagen, wenn nicht gar Angst. Die Ingenieure meinten, dass die Strommarktöffnung technisch nicht funktionieren werde. Am liebsten hätte man das Thema verdrängt. Dies bestätigte mir, dass wir das Unternehmen von bewährter robuster Technik auf die Bedürfnisse des Marktes und der Kundschaft in einem Wettbewerbsumfeld entwickeln müssen. Dazu galt es den Mitarbeitenden aufzuzeigen, dass Wettbewerb
nichts Schlechtes ist. Mit den einsetzenden Erfolgen stieg die Freude, auf die Kundschaft zuzugehen und im Angebot noch aktiver zu werden.

Wie hat sich die Rolle des Energieversorgers in Bezug auf Ökologie entwickelt?

Als ich kürzlich die Geschäftsberichte seit 2001 durchgeblättert habe, ist mir aufgefallen, dass das Thema «Ökologie» erst etwa seit 2012 zum zentralen Thema wurde. Zuvor war «Marktöffnung» DAS Thema. Die Diskussion um die Energiestrategie 2050 mit der Volksabstimmung hat hier wohl den Auslöser gegeben.

Aber die Regio Energie Solothurn hat bereits 2002 das Ökostromprodukt «Naturstrom» eingeführt.

Das stimmt. Auch unsere ersten Photovoltaikanlagen haben ein älteres Datum. Aber die breite Politik hatte das Thema damals noch nicht für sich gepachtet. Heute wird das Thema politisch bewirtschaftet. Bezüglich Ökologie leben wir in einer Art Dauerwahlkampf mit «löblichen Zielen». Das ist gefährlich. «Erneuerbare und Energieeffiziente Versorgung» ist ein fragiles und äusserst anspruchsvolles Thema, bei welchem neben der Wirtschaftlichkeit auch noch physikalische Grundsätze berücksichtigt werden müssen.

Wird die Sicht der Energieversorger einbezogen?

Wenn wir in  Diskussionen hierzu beitragen wollen, werden wir oft ausgebremst.  Technische Facts passen leider oft nicht ins Wunschkonzert. Etwas mehr  Bodenhaftung und kleine, aber stetige und verkraftbare Schritte wären  meines Erachtens besser.

Wie wird die Energieversorgung in 20 Jahren aussehen?

Spannende Frage! Es gilt die Energieversorgung per 2050 auf «Klimaneutralität» umzubauen. Auf diesem Weg wird viel passieren. Absehbar ist, dass die Energie-Zukunft mit Wärmepumpen und Elektromobilen in Richtung «Elektrifizierung» läuft. Verdrängt wird derzeit die Frage wo denn all der erneuerbare Strom im Winterhalbjahr, wenn die Sonne meine PV-Anlage nicht beglückt, herkommt.

Eine Lösung der Politik ist das Importieren von Strom.

In meinen Augen eine unlautere Lösung. Der importierte Strom genügt unseren ökologischen Ansprüchen in grossen Teilen nicht. Der eingegangene Weg wird zudem problematisch, wenn auch die Nachbarländer keine Überschüsse mehr haben. Leider kann dieser Elektrifizierungs-Trend dazu irreleiten auf gebaute Gasnetze zu verzichten. Doch auch Gas wird erneuerbar! Und Gasnetze machen bei der Gesamt-Systembetrachtung und bezüglich der Möglichkeit der Stromspeicherung Sinn.

Unter Ihrer Führung hat die Regio Energie Solothurn innovative Projekte umgesetzt. Was musste eine Idee mitbringen, damit Sie entschieden, diese weiterzuverfolgen?

Dank dem, dass wir in mehreren Branchen tätig sind und wir uns in diesen auch engagieren, kamen Ideen auf, wie man die Stärken des einen Systems mit den anderen vernetzen kann. Das Eine ergab das Nächste, so «schaukelte» sich das Ganze hoch. Zur Umsetzung der Ideen brauchte es dann praktisch veranlagte «Macher», finanzielle Mittel, den richtigen Zeitpunkt und Gremien, welche den Mut haben, uns dies umsetzen zu lassen.

Was war Ihr grösster Erfolg in Ihrer Zeit als Direktor?

Diese  Frage müssten eigentlich andere beantworten. Dennoch nenne ich hier den  Aufbau einer schlagkräftigen, engagierten, kompetenten, zuverlässigen  polyvalenten Crew. Dank dieser Crew und der verfügbaren finanziellen  Mittel konnten wir neue Geschäfte wie Fernwärme und Contracting aufbauen  und vielfältige Dienstleistungen entwickeln. Auch auf der  Stromeinkaufs-
und Produktionsseite ist viel passiert. Besonders freut  es mich, dass sowohl mein Nachfolger wie auch der neue Leiter Netze  «Eigengewächse» sind, also Mitarbeitende, welche ich vor 10 und mehr  Jahren einstellen und ihnen die
Entwicklung ermöglichen konnte.

Nun rückt der letzte Arbeitstag näher. Freuen Sie sich auf Ihre Pensionierung? Welche Pläne haben Sie?

Ich freue mich darauf, meinen Terminplan wieder selber bestimmen zu können. Ich werde mir eine Beschäftigung suchen, in welcher ich weiterhin «strategisch und kreativ wirken, navigieren und in die Tat umsetzen» kann. Ideen habe ich – diese müssen auch für meine langjährige Partnerin Jacqueline passen.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Marcel Rindlisbacher?

Ich  wünsche Marcel gutes Stehvermögen, Hartnäckigkeit, auch etwas Geduld,  ein gutes Gespür für Menschen, viel Freude am proaktiven Angehen der  vielseitigen Herausforderungen, eine robuste Gesundheit und eine Prise  Glück. Für diese Position braucht es auch etwas Freude an Politik und  damit ein persönliches Umfeld, das mit dem Druck ebenfalls umgehen kann.

Möchten Sie den Mitarbeitenden der Regio Energie Solothurn noch etwas sagen?

Ich mag diese Firma sehr und werde die motivierten, engagierten, kompetenten und zuverlässigen Mitarbeitenden sehr vermissen.
Ich danke euch!

Felix Strässle ist seit April 2001 Direktor der Regio Energie Solothurn. Der dipl. Elektro-Ingenieur HTL (FH) mit je einem Nachdiplomstudium in Wirtschaftsingenieurwesen und Informatik und Absolvent des Schweizerischer Kurs für Unternehmensführung (SKU) wohnt in Solothurn und ist Vater von zwei erwachsenen Kindern. Im März 2021 wird er 65 Jahre alt und wird Ende Mai 2021 in Pension gehen.


Text: Barbara Graber
Bilder: Samuel Müller/Studio Jeker, Michel Lüthi/bilderwerft.ch