«Wir sind Energie»
Das Discherheim in Solothurn hat eine Photovoltaikanlage erhalten, die von der Regio Energie Solothurn im Contracting betrieben wird. Im Discherheim kümmert man sich mit grossem Engagement um Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen.
«Wir sind alle Energie», sagt Stephan Oberli, Leiter des Discherheims. Allerdings kann Energie in seiner Vorstellung ganz unterschiedliche Formen haben. So steht in seinem Büro eine grosse Sperrholzkiste mit einem Fliegengitter und darin Fenchelkraut. «Schwalbenschwänze, eine der grössten einheimischen Schmetterlingsarten, legen ihre Eier hier hinein. Und die Raupen fressen dann den Fenchel», erzählt er. Auch das ist Energie, Energie zum Nachdenken, Fühlen und Erkunden für die Menschen im Discherheim.
Das Ende der Überbetreuung
Das Heim bietet Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen nicht nur einfach einen Heimplatz, sondern Anregung und Lebensqualität. Dazu gehört auch eine grösstmögliche Selbstbestimmung. «Für den einen ist Selbstbestimmung schon, wenn er beim Frühstück zwischen zwei verschiedenen Joghurtsorten wählen kann. Für den andern ist es der Entscheid, nicht im Heim, sondern in einer Wohngruppe in der Stadt zu leben», erzählt Stephan Oberli. Die Eigenständigkeit zu fördern, wurde in der Vergangenheit in vielen Heimen versäumt. Während man Kindern bereits im Kindergarten und danach jedes Jahr erneut beibringt, wie man sich im Strassenverkehr verhält, wissen das Menschen mit Beeinträchtigung oftmals nicht, weil man ihnen nicht zugetraut hat, sich selbstständig zu bewegen.
Der Paradigmenwechsel vom Betreuer zum Begleiter, welcher in vielen Institutionen für Menschen mit geistiger Behinderung Einzug gehalten hat, führte dazu, sogenannte Überbetreuungen abzubauen und die Selbstständigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung der begleiteten Menschen zu ermöglichen, zu entwickeln und erfahrbar zu machen. Dies war und ist immer auch ein bewusster Lernprozess für die Mitarbeitenden.
«Ich sage etwas, und es passiert etwas»
Nicht nur die Vorstellungen der idealen Betreuung haben sich verändert, sondern auch die Ansprüche der Familien. «Früher war man froh, wenn es irgendwo einen Heimplatz gab», sagt Stephan Oberli. «Heute kommen Eltern und fragen uns, was wir ihrer behinderten Tochter bieten können. Damit sind wir viel mehr gefordert, und das tut auch unseren Klienten gut.» Denn heute wird die Struktur den Menschen angepasst, während es früher oft umgekehrt war. Man nahm ihnen die Energie, während man sie heute dazu ermuntert, die Energie, die sie haben, für sich einzusetzen. Sie sollen fähig werden, aus eigenem Antrieb etwas zu unternehmen und nicht einfach eine Hausordnung zu befolgen.
Das können einfache Arbeiten oder das Zusammenleben mit anderen sein, aber auch die sogenannte «Selbstwirksamkeit». Das ist die Erfahrung, dass etwas geschieht, wenn man es will oder tut. Das ist eigentlich selbstverständlich. Für Menschen mit Beeinträchtigung ist es unter Umständen eine völlig neue Erfahrung – und gibt ihnen Energie. Diese Energie sollen sie auch im neuen Sinnesgarten spüren, den das Discherheim mit Spendengeldern anlegen konnte. Hier blüht und riecht und summt es, und auch der Fenchel für die Schwalbenschwänze gedeiht in grossen Hochbeeten.
Auf den Dächern der Häuser gibt es nun eine grosse Solaranlage. «Für uns sind Ökologie im Betrieb und Biodiversität im Garten wichtig. Deshalb haben wir auch diese Solaranlage gebaut», sagt Stephan Oberli. Energie hat viele Formen im Discherheim, und nur die offensichtlichste kommt vom Dach.
Text: Andreas Schwander
Bilder: zvg Discherheim